Hallescher FC – BV Borussia Dortmund 0:3 (0:2)

Freundschaftsspiel; Erdgas Sportpark (15057 Plätze); 14008 Zuschauer

Der Weg vom Nordwesten Deutschlands in das Rheinland führt bekanntermaßen über Halle an der Saale in Sachsen Anhalt. Grob zumindest, also zugegeben mit einem „kleinen“ Umweg. Aber wenn doch gerade ein millionenschwerer Bundesligist aus dem Pott in der Nähe von Bitterfeld spielt, dann kann man das mal mitnehmen.

Und was bietet sich mehr an, als ab Magdeburg über Land zu fahren und so ein wenig die Gegend zu erkunden? Und Gegend gibt es auf diesem Weg ziemlich viel und interessanter Weise kann man genau nachvollziehen, wo der 1. FC Magdeburg sein Revier markiert und ab welchem Dorf der HFC Chemie aus Halle seinen Einfluss geltend macht. Irgendwo zwischen Köthen und Halle liegt das Dorf Piethen. Während Köthen noch ziemlich deutlich Magdeburger „Zone“ sein müsste (gekennzeichnet durch „Spuckis“ mit der Aufschrift „FCM Zone“), ist das angesprochene kleine Dorf scheinbar blau-weiß-rot-weißes Kampfgebiet. Aufkleber, Graffitos und übermalte Graffitos und überklebte Aufkleber wohin man schaut. Da geht scheinbar entweder viel Freizeit drauf oder die „Feinde“ wohnen im selben Dorf.

Hinter Piethen beginnt also das Chemiker-Land, wo der HFC seine Homebase zu haben scheint. Bald erreicht man auch die Großstadt Halle bei Leipzig mit über 230’000 Einwohnern bestückt und den offensichtlichen Problemen aller mittelgroßen ostdeutschen Städte.  Wenn man sich schlau macht erfährt man, dass Halle als einzige deutsche Stadt dieser Größe den 2. Weltkrieg unbeschadet überstanden hat. Eigentlich müsste den Besucher eine tolle, alte Innenstadt erwarten, doch die Zugehörigkeit zur ehemaligen DDR änderte dies in den 80er Jahren durch Abriss und den Neubau von Plattenbauten. Die größte Bausünde haben die Funktionäre mit der Errichtung des Stadtteils Halle-Neustadt, im Volksmund auch „HaNeu“ genannt, geschaffen. Betonplatte so weit das Auge reicht.

Irgendwann erreicht man das neu erbaute Stadion des HFC, welches 2011 an der Stelle des altehrwürdigen Kurt-Wabbel-Stadions erschaffen wurde. Zwischen Kleingartenkolonien und entlang der „Straße der Republik“ sind zumindest noch die steinernen Eingangstore der alten Kampfbahn zu erkennen. Die Arena selbst ist mal wieder kein großes architektonisches Highlight, aber für die Bedürfnisse des Drittligisten genau richtig. Positiv heben sich allerdings die oberhalb des Daches angebrachten, stark schräg stehenden Flutlichtmasten ab. Heute werden diese Anlagen meist rund herum unter die Dächer der Fußballarenen gezimmert, in Halle hat das Ganze somit seinen eigenen Charme. Das gesamte Stadion ist überdacht, es besteht optisch ausschließlich aus Metal und Beton und über der Haupttribüne fand sich Platz für einen sehr klein gehaltenen VIP-Bereich. Für jeden Verein in Liga 3 oder 4 mit Fanpotential genau die richtige Größe, um für gute Stimmung und das Gefühl zu sorgen, nicht alleine im Stadion zu stehen, wenn sich auch mal nur 6 oder 7000 Fans einfinden sollten. Auf jeden Fall können die, die sich in der Arena einfinden, über unglaublich leckere Frikadellen hermachen. Für 3 Euro zu haben und ihr Geld definitiv wert. Das Wasser im 0,4 Liter-Becher kostet ebenfalls 3 Euro, was das Bier kostet, hab ich wohl vergessen zu notieren. Zu teuer ist der Spaß im Vergleich zu anderen Spielstätten jedenfalls nicht.

Welchen Bezug das Maskottchen „Hallotri“ – ein übergroßer handelsüblicher Biber – zum Verein haben könnte, konnte mir noch nicht einmal google erklären. Vermutlich konnte man damals wie üblich über den Namen und die Tierart abstimmen. Dafür gibt es allerdings viele Ex-Profis, die einen großen Bezug zum HFC haben oder hatten. So kamen bekannte Fußballer wie der legendäre Ex-Nationalspieler Dariusz Wosz, Steffen Karl, Championsleaguegewinner und doppelter Meister Rene Tretschok, Christian Tiffert oder der Republikflüchtling Norbert Nachtweih, der es bei den Bayern zu Ruhm und Ehre brachte, aus der Schule der Chemiker. Mit Timo Furuholm spielt sogar ein aktueller (finnischer) Nationalspieler mehr oder weniger erfolgreich in den Reihen der Saalestädter.

Der geneigte Leser könnte sich jetzt fragen, woher das „Chemie“ oder der Begriff „Chemiker“ im Text stammt. Denn immerhin heißt der Verein offiziell Hallescher Fußballclub. Allerdings heißt er erst seit Anfang der Neunziger so, denn der Zusatz „Chemie“ wurde damals getilgt, erinnerte er doch allzu sehr an die alten Zeiten als Betriebssportgemeinschaft. Und obwohl der Begriff Chemie damals aus dem Namen gestrichen wurde, ist er heute noch bei den Fans im Stadion oder auf den Trikots präsent. Tradition lässt sich eben nicht totschweigen oder aus den Köpfen streichen. Warum sich aber der Schlachtruf „Eisern Chemie“ eingebürgert hat, muss ich mir bei Gelegenheit nochmal erklären lassen. Vielleicht wurde der Ruf einfach nur bei den „Schlosserjungs“ aus Berlin-Köpenick abgekupfert? Vielleicht gibt es aber auch eine andere plausible Erklärung? Ich schreib es mir auf die To-Do Liste, irgendwann mal nachzuhaken.

Zum 50. Geburtstag des HFC stand also das Jubiläumsspiel gegen den großen BVB aus Dortmund an, dessen Kader einen Marktwert von sage und schreibe 340 Millionen Euro haben soll. Dagegen erscheinen die 4,75 Millionen Gesamtmarktwert der Gastgeber eher bescheiden. Vermutlich verdient diese Summe allein Adrian Ramos, ohne Prämien versteht sich. Das Spiel jedenfalls lief wie es zu erwarten war. Der Favorit dominierte, der Drittligist agierte nervös und eher schüchtern.
Der Hallenser Support war ohne die Unterstützung der eigenen Ultras hin und wieder ganz nett, aber mehr auch nicht. Es war eher Familientag angesagt, statt bedingungsloser Anfeuerung durch die aktive Szene. Obwohl am Eingang zu Block 19 geschrieben steht: „Stimmungsblock, hier wird gerockt“, war davon diesmal nichts zu spüren. Aber auch auf Seiten der Dortmunder Fans war nicht viel los und ohne eigene Ultras waren die Schwarz-Gelben nicht zu hören.

Spätestens als in der 63. Minute Trainer Tuchel die komplette Besatzung der Feldspieler auswechselte und auf dem Feld nur noch Spieler ohne Namen auf dem Rücken ihr Werk vollbrachten wusste man, dass nun kein einziger Star der Borussen auf dem Rasen übrig blieb. Nicht jedem der Zuschauer gefiel diese Auswechselorgie und viele Chemie-Touristen machten sich auf den Heimweg.

Ach ja, Stichwort Touristen. Man soll ja nicht lästern, aber vor mir standen – während der Ball rollte – zwei Mädels, die sich unüberhörbar über ihre Haare und das richtige Färben  selbiger unterhielten. Dabei zeigten die beiden immer wieder auf Frisuren anderer Damen im näheren Umkreis, welche wohl als Studienobjekte herhalten mussten. Als interessierter, zufälliger Zuhörer folgte man(n) natürlich den Ausführungen und musste dann, auch nach genauerem Hinsehen feststellen, dass im Stadion zu diesem Zeitpunkt wohl die höchste Haarfärbedichte der Republik vorzufinden war. Wenn in Halle ein Berufszweig Konjunkturzuwächse verzeichnen kann, dann die Hairstylisten der Stadt.

Ein netter Ausflug nach Mitteldeutschland. Es lohnt sich auf jeden Fall, hier mal vorbei zu schauen und sich das Ganze bei einem Drittligaspiel zu geben. Die Stimmung ist dann garantiert auch deutlich besser und allein für die lecker Frikko lohnt sich der Besuch.